So ein dicker Schinken liegt vor euch, 1000 Seiten pure Wortgewalt und hauchdünne Seiten. Wie soll ich mir das alles merken und wie lange werde ich dafür brauchen? Ich glaube, jeder der schon einmal im Buchladen eine Ausgabe Krieg und Frieden von Leo Tolstoi mit seinen 1500 Seiten in der Hand gehabt hat, weiß genau welches Gefühl einen da in der Magengrube sitzt. Es müssen aber auch nicht die langen Werke sein, sondern die hoch angepriesenen, die schwer verständlichen Dinger, die schon Generationen zum Rande der Verzweiflung brachten. Die Lösung durch diese Bücher zu kommen und keine Angst zu haben ist: Tu es einfach!
Ja, das habe ich wirklich geschrieben, denn es ist so einfach wie es abschreckend ist. 1000 Seiten Buch ist eine Verpflichtung. Aber es wird auch mit dem ultimativen Gefühl belohnt sich dadurch gekämpft zu haben. Die Illusion eines leichten Spaziergangs möchte ich euch nicht auftischen, denn es wird anstrengend.
Doch zäumen wir das Pferd einmal von hinten auf. Woher kommt die Angst, was kann ich machen, um besser zu werden und warum ist Lesen ein Zwiegespräch zwischen dem Autor und dir.
Die Sprache macht den Sinn
Oftmals ist es nicht nur der schiere Umfang des Werkes, was einem Sorgen macht. Verstehe ich denn auch was der Autor mir sagen will? Das Gefühl etwas zu lesen und es trotzdem nicht zu verstehen ist immanent. Es hält uns davon ab das zu deuten, was vor uns liegt.
Einer deiner Verständnisprobleme kann vom Text selbst stammen. Viele Bücher, die wir lesen, sind in einer anderen Sprache verfasst. Und hier kommt der Knackpunkt: Die Übersetzung. Einen Text in eine andere Sprache zu übertragen birgt die Gefahr den Inhalt und Ausdruck zu verwässern. Man kann den Inhalt zwar wiedergeben, jedoch fehlt es an Drive und der sprachlichen Finesse. Es verändert das Wort, denn ein wortwörtliche Übersetzung macht oft gar keinen Sinn.
Kommunikation ist alles
Sprache ist Kommunikation, so einfach und banal es auch klingen mag. Die Sprache ist das Mittel, um jemanden zu erreichen, etwas zu vermitteln. Dabei nutzt der Autor sprachliche Bilder, Moralvorstellungen und andere Wege, um seinen Gedanken dem Leser zu übermitteln. Der Autor will per se nicht überfordern – obwohl man es bei einigen Autoren vermuten könnte – sondern auf seine Weise vermitteln. Die Sprache, in welcher Form sie auch kommt, ist die Verbindung zwischen Menschen, Dingen. Es ist der Weg, um sich verständlich zu machen. Ob wir eine Programmiersprache nutzen oder Deutsch an sich als Sprache, es ist der Weg miteinander Gedanken und Informationen auszutauschen. Literatur will gelesen und rezipiert werden.
Jedes Buch und jede Sprache ist anders, aber auf eine gewissen Weise miteinander verwandt. Wie jeder Lernprozess ist der Beginn mühsam. Was will der Autor uns sagen? ist wohl einer der häufigsten Fragen, die während der Deutschstunden gestellt werden. Um den Code zu entschlüsseln brauchen wir nicht analytisch auf das herabschauen, was vor uns gedruckt liegt. Lieber sollten wir und aus ein neues Muster einlassen und ganz darin abtauchen. Du musst nicht sofort alles verstehen, aber ein Gefühl für Sprache und seinen Ausdruck gewinnen. Somit lernst du viele verschiedene Sprachen des Autors kennen und entdeckst Zusammenhänge. Denn auch wie Bildende Kunst entsteht Literatur nicht aus einem Vakuum heraus. Sie ist miteinander verwoben und wir erkennen sie wider. Literatur ist kein Hexenwerk.
Woher kommt dann die Angst vor großen Büchern?
Das ist eine ganz tricky Sache. Viele Ängste sind Schutzmechanismen, die uns vor schlechten Erlebnissen schützen wollen. In grauen Vorzeiten hätten wir nicht mit einem Säbelzahntiger gekuschelt, doch manche Ängste kommen nicht aus uns selbst heraus. Sie werden uns angetragen.
Das, was ich so plakativ Ängste nenne, kann man auch gut aus Besorgnis bezeichnen. Die Besorgnis den Text nicht zu verstehen oder überfordert zu sein. Schon in der Schule und später vielleicht in der Universität wird uns eingetrichtert, dass manche Texte besser sind als andere. Sie entspringen einem Kanon, der einmal festlegte, was „gute Literatur“ ist und was in verächtlich in die Tonne kann. Genau das schürt unsere Ängste davon überfordert zu sein. Es soll nicht heißen, dass diese Literatur in Wahrheit gar nicht so gut ist, sondern eher zu hoch gehandelt wird. Die Hürde mit solchen Texten umzugehen ist aber tatsächlich höher. Es bedarf ein gewisses Vorwissen über die Epochen, das Verständnis für Sprache dieser Zeit und auch erzählerische Motive. Wie auch schon bei der Kommunikation nutzt „gute Literatur“ (bitte seht hier große Anführungszeichen) einen gewissen Weg, um mit euch zu sprechen. Oder eher dem Leser seiner Zeit. Aber wir sind nicht der Leser dieser Zeit, das müssen wir uns immer wieder klar vor Augen halten. Wir stehen außerhalb und deswegen ist diese Sprache für uns neu. Es ist eine andere Art der Kommunikation, die wir uns erst anweigen müssen. Epochenwissen ist wie Vokabeltraining, das muss gelernt werden. Diese Schwelle zu überschreiten und sich das ganze Wissen anzueignen ist für viele Menschen recht hoch. Niemand ist euch böse, wenn ihr es also nicht macht. Jedoch plädiere ich dafür es wenigstens einmal zu probieren, aber mit dem Vorwissen, dass ihr es nicht gleich alles versteht. Nicht umsonst gibt es hunderte, wenn nicht tausende Arbeiten nur über ein Theaterstück. Spezialisten für einen Autor oder auch Leute, die sich ihr ganzes Leben dieser Literatur verschrieben haben. Das Scheitern an einem Buch sollte die geringste Sorge sein.
Und deswegen plädiere ich wie immer „Lest doch was ihr wollt!“. Jedoch nutzt die Chance euren Horizont zu erweitern, macht was aus eurem Kopf und probiert alles aus. Habt keine Angst vor großer Literatur. Lest quer und schräg. Lest bekannte Autoren und unbekannte Namen. Lest FanFiction und verliert euch in deren Geschichten. Macht alles, was ihr wollt, aber bleibt nicht gefangen. Nehmt neue Herausforderungen an und erweitert euren Horizont. Ihr habt das eine Leben und ihr solltet es ausschöpfen, auch wenn es nur Bücher sind.